FEATURE | 10 January 2019

Photos, Interview & Text: Martin Hufnagel

BRENK SINATRA

Brenk Sinatra ist zweifellos einer der aufregendsten Rap-Produzenten. Seine Platte Midnite Ride begleitet mich seit 2 Jahren bei fast jeder Autofahrt. An einem regnerischen Tag in Wien trafen wir uns und redeten über Musik als Job, das Verbrennen von Biggie Platten, Krautrock und andere Themen.

Die Reichsbrücke in Wien verbindet den Bezirk Kaisermühlen mit dem Stadtzentrum. Die Menge an Autos, die sich über die Verbindung der Donau schiebt, erzeugt eine monotone Geräuschkulisse. Zudem regnet es in Strömen, als ich mich mit Brenk Sinatra an der U-Bahn Station Kaisermühlen treffe.  

Brenk, mit bürgerlichem Namen Branko, ist in Wien geboren und aufgewachsen. Seine Mutter war Angestellte, sein Vater Lkw-Fahrer. Eigentlich kein typisches Umfeld, um Musiker zu werden. Dennoch war er schon früh fasziniert von Musik und ihrer Rhythmik. Wenn ich ihn heute frage, was ihn so gefesselt hat, erklärt er es so: „Es gab gewisse Momente auf Platten, die ich jetzt besser erklären kann. Damals war das mehr noch so ein ‚Gefühl‘. Wenn irgendwelche Harmonien oder Gesänge kurz, über 7 oder 8 Sekunden perfekt zueinandergepasst haben. Nimm ‚Liberian Girl' von Michael Jackson zusammen mit Quincy Jones in Höchstform. Wie er singt und Quincy am Ende die Chöre dazu spielt: unbeschreiblich. Damals wusste ich das nicht zu beschreiben, aber es hat so ein gutes Gefühl ausgelöst. Das habe ich dann immer gejagt. Wo ich dieses Gefühl gefunden habe, bin ich kleben geblieben.“

Als er Ende der 1980er als Kind die ersten Rapper über 120-BPM-Dancefloor-Beats unzusammenhängende Wörter rappen hörte, war das komplettes Neuland für ihn. „Keiner wusste, was Rap ist, zumindest in meinem Umfeld.“ Ein paar Jahre später folgten der Kauf der ersten CD vom mühsam angesparten Taschengeld (Ice Cubes Lethal Injection) und der Tieftauchgang in die Rap-Musik. „Jetzt lach ich darüber, aber die ersten paar Jahre war ich schon sehr Rap-affin. ,Rap-affin‘ ist zu wenig, eher rapverrückt… Ich habe zu der Zeit echt fast jede Musikrichtung gehasst, außer Hip-Hop. Die Musik gepaart mit den Texten war einfach eine Fusion, die jedes Mal etwas in mir ausgelöst hat.“

Ähnlich wie der Punk in den 70ern war Hip Hop zunächst etwas für Außenseiter. Die Gewalt in den Texten, das Posieren mit Waffen, dazu die viel zu weiten Klamotten und die oft voreingenommene mediale Berichterstattung. Für einen heranwachsenden 15-Jährigen bot das den richtigen Tiefgang für die eigene Identitätsbildung. Während andere DJ Bobo oder Hardcore-Techno hörten, liefen bei Brenk die Westcoast-Platten auf und ab.

Zur selben Zeit lieferten sich Bad Boy Entertainment aus New York und Death Row Records aus Los Angeles, sowie die dazugehörigen Rapper und Produzenten, eine Konkurrenzschlacht, die schließlich eskalierte. In deren Verlauf wurden unter anderem 2Pac und Notorious B. I. G. erschossen. „Wie dieses Ganze Biggie- und Tupac-Ding passiert ist, waren wir klar Hardcore-Westcoastler. Ich weiß noch, wir sind in einen Park gegangen und haben Biggie-CDs, die wir von unserem Taschengeld superteuer gekauft hatten, verbrannt und haben drauf gepisst und sind wie so Teufelsanbeter rund um die verbrannte CD herum getänzelt. Wo ich mir jetzt denke: Wie waren wir drauf? Aber erklär das mal einem 15-Jährigen in den 90ern, der das alles viel zu ernst nimmt.“

Brenk Sinatra, Midnite Ride (Full Album)

Brenk wollte selbst Musik machen und wissen, warum der Beat so klingt, wie er klingt. Dafür setzte er sich immer weiter mit der Materie auseinander.
Es war Ende der 90er in Wien und in seinem Umfeld gab es einen Produzenten, der auf einem Niveau Beats machte, dass Brenk sich von ihm eine Platte gekauft hätte: Saiko hatte schon für einige Rapper produziert und Sachen auf Platte veröffentlicht. Und er wurde Brenks Mentor. 

Mit derselben Begeisterung, wie er Rap-Fan war, tauchte er nun in das Produzieren ein. Wie ein besessener Hochleistungssportler trainierte er dafür jeden Tag. Die ersten Versuche, zu produzieren, bestanden darin, einfach Knöpfe zu drücken um zu wissen, wann welcher Ton kommt und wie man etwas klingen lassen kann. Der nächste Schritt war die Suche nach einem eigenen Sound. Durch die Beat-Analysen fielen ihm mehr und mehr Bausteine in die Hände. Gerade damals war die Rap-Musik noch extrem samplelastig. Produzenten verwendeten einen bereits bestehenden Teil einer Aufnahme in einen neuen musikalischen Kontext.

Natürlich war das Klangbild der amerikanischen Westküste ein großer Einfluss, doch durch die Öffnung für andere Musik kamen stets weitere Elemente dazu. Von Soul („Bei guten Soulplatten, gibt es welche, bei denen die Harmonien so sind, dass man einfach heulen muss vor lauter Herzschmerz“), über Jazz („Da bin ich nie so reingekippt bin wie bei Soul“) bis hin zum Krautrock. 

„Bevor ich Krautrock-Platten gesampelt hab, habe ich sie eigentlich immer nur gehört, weil sie einfach unberechenbar waren. Bei einer Soul-Nummer von 4 Minuten weiß ich nach den ersten 10 Sekunden ungefähr, was in den nächsten 3 kommt. Bei einer Kraut- bzw. Progrock-Platte hast du keine Ahnung. Im nächsten Moment kommen Flöten, dann kommt ein Kontrabass, dann kommt der Synthesizer, dann singt wer a cappella über seine Mutter. Also vollkommen unberechenbare Musik. Ich glaube, das war in erster Linie der Anreiz als Produzent und als Hörer, weil es einfach unfassbar kreative Musik ist.“ 

Auch wenn Geld, Erfolg und vor allem der Weg dorthin die Texte im Rap prägen, war das nicht der Beweggrund für ihn, um Musik zu machen. „Der Drive war überhaupt nicht bezogen auf Geld oder Erfolg, sondern einfach nur auf machen wollen. Alter, der Gedanke, Geld mit Beats zu machen, war absurd. Es wäre wahrscheinlicher gewesen, dass ich Wildschützer in einem Nashorngehege in Afrika werde, als von Beats zu leben oder das so lange zu machen, wie ich das jetzt mach.“

Trotz der steigenden Popularität von Rap gibt es in Österreich insgesamt nur eine Handvoll Künstler in diesem Genre, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen können. Brenk ist einer davon. Schon früh war es seine Berufung, Beats zu machen, doch seit 5 Jahren ist es auch sein Beruf. „Es war lange Zeit davor mein Leben. Ich war arbeiten, habe davor bis 4 Uhr morgens Musik gemacht, bin dann wieder arbeiten gegangen. Das war der crazy Zyklus. Aus der Zeit hab ich die Augenringe noch als Souvenir.“

Brenk hat alle möglichen Brotjobs gehabt: am Fließband kleine Corsa-Motoren zusammenbauen, er arbeitete im Lager eines Schuhgeschäfts und bei Persil, aber er war einfach ein schlechter Angestellter, wie er sagt, und hatte immer wieder Probleme mit seinen Vorgesetzten. „Ich war immer sehr schlecht im Unterwürfig-Sein. Zweimal habe ich mich vielleicht zusammengerissen, aber beim dritten oder vierten Mal hab ich dir gesagt: Fuck it, ich mach das nicht, mir passt das nicht. Das kommt oft eben nicht gut, und ich versteh das auch, aber auf lange Sicht fährt man damit glaube ich besser in der Welt.“

Im Gespräch wird klar, dass dies einer der Leitsätze von ihm ist. Das macht den Umgang mit ihm so erfrischend. Dabei meistert er den schmalen Grat zwischen Deutlich- und Überheblichkeit, indem er sein Gegenüber respektiert. Als Produzent arbeitet er mit vielen verschiedenen, unterschiedlichen Menschen zusammen. Was ist für ihn das Wichtigste bei der Zusammenarbeit? „Also das Wichtigste ist, dass ich mich mit ihnen vertrage. Man kann sich ja mit jemandem schon vertragen im Sinne von: Wir müssen keine best buddies werden, aber man muss sich auf Augenhöhe begegnen, man muss miteinander reden können mit einem gewissen Respekt, wenn man schon keine Freunde wird.“ 

MC Eiht, 'Where We Go' (Prod. by Brenk Sinatra)

Gerade bei Künstlern mit steigendem Bekanntheitsgrad und Musikern aus Amerika gestaltet sich die Kooperation manchmal problematisch. „Ich hab schon gemerkt, die kennen oft kein Nein oder dass man sagt: ‚Das find ich jetzt nicht so cool‘ oder ‚Können wir das anders machen?‘. Die kennen sehr viele ‚Yes, Sirs' und ‚Yes, Mams' in ihrem Umfeld. Die sind schon gewohnt, dass Leute das dann machen, ohne zu hinterfragen, wenn sie pfeifen. Und das mach ich einfach nicht, egal wer du bist.“

Viele sehen diese Geradlinigkeit in der Branche als ein existenzielle Bedrohung, aber Brenk wird für diese Aufrichtigkeit geschätzt, genau wie für seine unaufhörliche Disziplin. Der Tagesablauf heute: aufstehen mit seiner Frau um 8. 2 Stunden später sitzt er im Studio. Das Einzige, was den Flow unterbricht: Radfahren, den Kreislauf Hochschießen, nicht nur Sitzen. Sonst harte Arbeit. „Manchmal sind das 13 bis 14 Stunden. Ich sehe nichts außer Geräte und Elektrosmog. Aber es geht nicht anders, ich hab’s ja gemerkt. Die geilen Sachen kommen alle nur nach Sessions, nach langem Herumprobieren.“ Und mit Zeitdruck. So stellte er die Beats von „Reinwaschen" und „Pusher" für das Album von Said in der Nacht vor Abgabe fertig.

Sein Studio ist bis unter die Decke bewaffnet mit Synthesizern. „Jedes Gerät ist eine eigene Welt, und wenn du in die eintauchst, dann kannst du halt richtig geile Sounds rausholen. So bin ich in jedes Gerät ein bisschen mehr eingetaucht, damit ich verstehe, für was und für welche Art von Sounds ich welches Gerät brauche.“

Ich kann es dir in Worten nicht erklären, sondern es ist ein Gefühl, dass du einen Beat von Brenk sofort erkennen kannst. Nicht weil er seit Jahren dasselbe macht, nicht wegen des bekannten „Brenk Sinatra“-Sound-Tags am Anfang seiner Beats, sondern weil er seine musikalische Handschrift gefunden hat, die trotz ständiger Updates immer wahrnehmbar ist. 

Said, 'Pusher' (Prod. by Brenk Sinatra)

Durch das unermüdliche Interesse und die Offenheit für neue Klänge geht Brenks Sound mit der Zeit. Während für manche Produzenten in diesen Tagen sich Kreativität auf das Nachbauen von Beats anderer, oft unbekannter Künstler beschränkt, stößt er überall auf Ideen. „Ich kann keinen Film mehr schauen, weil ich sofort irgendwas höre, was ich zu einem Beat machen könnte. Meine ganze Welt besteht aus Beat-Strukturen. Ich gehe durch die Welt wie durch eine Matrix und denk: ‚Das könnte eine High Hat sein, das könnte ein cooler Bass sein.‘"

Brenk sieht das nicht als Hobby oder Job. „Wenn dann ein Beruf, weil das kommt von Berufung. Der Drive ist einfach, Erfolg zu haben mit seiner Musik, sich nicht zu verbiegen. Ich würde auch lügen, wenn ich sagte: ‚Ach es ist mir egal, wie viel ich verkaufe.‘ Nein, ist mir es nicht. Wer freut sich nicht über GEMA-Kohle? Wer freut sich nicht über Payout von Beats? Wer das sagt, der lügt, eindeutig. Jeder will Kohle. Ich bin aber nicht so, dass ich die Kohle vor die Musik stelle. Ich stelle die Musik vor die Kohle, und das ist das Wichtigste. Das wird sehr oft vertauscht.“

Für das Geld sitzen manche Künstler in Camps, zusammengewürfelt, um nach einer vorgegebenen Formel eines Labels einen Hit zu produzieren. „Was es für Camps gibt, das wirst du gar nicht glauben. Natürlich überlegst du dir, ob du das machen sollst… Ja, es zahlt jetzt für ein halbes Jahr die Miete, wenn ich da 3 Tage irgendwas mach. Aber das Ding ist: Nein! Vielleicht unter falschem Namen, aber wenn du als Produzent einen Namen hast, dann zerstörst du dir den.“

Abgesehen vom monetären Erfolg kommt also der große Teil seines Ansporns von innen. „Es gibt keinen perfekten Beat, alleine die Jagd nach dem perfekten Beat so, wie er in meinem Kopf ist.“ Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er sich auch keine seiner Produktionen mehr anhört, sobald er sie fertiggestellt hat. „Wenn ich eine meiner Produktionen fertig auf Vinyl oder sonst einem Medium höre und da zufällig irgendwas hör, was mich stört oder zu leise beziehungsweise zu laut ist, dann werde ich wahnsinnig. Waaahnsinnig! Und deshalb höre ich mir auch eher selten meine fertigen Alben an, denn irgendwo finde ich bestimmt wieder einen Fehler.“

Thank you, Brenk, for being part of THE WASTED HOUR.

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